Luftaufnahme vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden

Verleihung des Christian Roller Preises 2020

Am 14. Oktober 2021 wurde der Christian Roller Preis 2020 verliehen. Mit der Verleihung fördern die Illenauer Stiftungen Projekte mit Praxisbezug, die sich direkt an Patient*innen wenden. Der mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Preis wurde zum dritten Mal an Mitarbeiter*innen und Organisationseinheiten der drei psychiatrischen Zentren (ZfP Emmendingen, Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, ZfP Reichenau) vergeben. Pandemiebedingt fand die Preisverleihung 2020 erst jetzt, im Jahr 2021, statt.

Wer psychisch krank ist oder eine Behinderung hat, trägt allein dadurch eine schwere Last und hat es im Alltag schwerer als gesunde Menschen. Die Illenauer Stiftungen würdigen mit dem Christian Roller Preis schon seit Jahren Ideen und Konzepte, die psychisch Kranken und Menschen mit Behinderung in ihrem Lebensalltag helfen und sie unterstützen. Er fördert versorgungsrelevante, innovative und praktisch umsetzbare Projekte, die sich auf den gesamten Versorgungssektor, alle Disziplinen und alle in der psychiatrischen Versorgung tätigen Berufsgruppen beziehen. Sieben Preisträger gibt es in diesem Jahr, die die Jury mit ihren Projekten überzeugen konnten, zwei davon kommen aus dem PZN Wiesloch:

Über einen Sonderpreis, dotiert mit einem Preisgeld von 1.000 Euro, freut sich die Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I (API) des PZN Wiesloch für das Projekt "Der Weg zu einem sicheren Ort: Implementierung und Umsetzung von Safewards auf zwei akutpsychiatrischen Stationen". Projektbeteiligte waren Franziska Lampert-Baumann, Ralf Lauterbach, Andrea Pleitgen, Prof. Dr. Markus Schwarz und Anna-Celina Vetter.

Einen Hauptpreis, dotiert mit einem Preisgeld von 4.000 Euro, erhielt André Hieke, Stv. Pflegedienstleiter des Gerontopsychiatrischen Zentrums am PZN für das Projekt "Stufen der Veränderung: Einführung von Recovery-Bausteinen im Rahmen der Organisationsform Bezugspflege".

Projektzusammenfassungen

"Safewards – Unser Weg zu einem sicheren Ort"

Franziska Lampert-Baumann – Projektbeauftragte, Gesundheits- und Krankenpflegerin; Ralf Lauterbach – Pflegedienstleiter; Andrea Pleitgen – Projektleiterin, stv. Pflegedienstleiterin; Prof. Dr. Markus Schwarz – Chefarzt; Anna-Celina Vetter – Projektbeauftragte, Gesundheits- und Krankenpflegerin

Safewards ist ein Konzept, mit dessen Hilfe Konflikte und Aggression auf psychiatrischen Akutstationen verhindert oder zumindest minimiert werden sollen. Dafür hat das Team der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I (API) am PZN in Wiesloch um Franziska Lampert-Baumann zehn Hauptinterventionen entwickelt, die den Kern des Konzepts bilden und darauf abzielen, Konflikte und Aggression bereits vor der Entstehung zu vermeiden. Die Grundhaltung basiert auf dem Recovery Konzept.
Patient*innen wird auf Augenhöhe begegnet, die Mitarbeitenden sollen sich in die Lage der Patient*innen versetzen, um ihre Ängste und Nöte besser zu erkennen und potentielle Gefahrensituationen so von Grund auf zu verhindern. 2015 und 2016 hatte es auf den Akutstationen der Klinik API überdurchschnittlich viele Übergriffe auf Mitarbeitende gegeben. Daraufhin wurde das Safewards-Konzept ins Leben gerufen und über einen Zeitraum von 18 Monaten eingeführt. Das Konzept leitet auch einen Wandel hin zu einer dauerhaften Recovery-Haltung ein, von der Patient*innen und Mitarbeitende gleichermaßen profitieren. Allerdings ist es auch mit vielen Veränderungen verbunden, was vor allem für die Mitarbeiter*innen eine Herausforderung darstellt und Flexibilität voraussetzt. Doch die Ergebnisse können sich sehen lassen: Seit der Einführung von Safewards konnte ein signifikanter Rückgang an Fixierungsmaßnahmen und ein noch größerer Rückgang der Fixierungsdauer nachgewiesen werden.

"Stufen der Veränderung – Einführung von Recovery-Bausteinen im Rahmen der Organisationsform der Bezugspflege"

André Hieke, stv. Pflegedienstleiter des Gerontopsychiatrischen Zentrums am PZN Wiesloch

Im Projekt „Stufen der Veränderung“ von André Hieke geht es darum, Genesungsfortschritte für die Patienten selbst sichtbar, messbar und bewertbar zu machen. Diese Herangehensweise hilft sowohl den Patienten, weil sie klare Strukturen vorgibt und motivierend wirkt, als auch den pflegerischen Mitarbeitenden. Mit Hilfe des Mental Health Recovery Star™ definieren die Betroffenen selbst ihre vorrangigen persönlichen Ziele und arbeiten anschließend gezielt darauf hin. Dafür ist eine bestimmte Organisationsform nötig, die Bezugspflege. Im Rahmen der Bezugspflege hat ein Patient eine bestimmte Pflegefachperson an der Seite, die Verantwortung für alle pflegerischen Tätigkeiten übernimmt. Recovery-Ziele messbar zu machen ist eine maßgebliche Voraussetzung für die Entwicklung evidenzbasierter Hilfen im Kontext einer Versorgung, die sich auf die Genesung und deren Fortschritte fokussiert.

Hintergrundinformation

Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau

Als es noch gang und gäbe war, psychisch Kranke in „Zucht-, Irren-, Toll- oder Waisenhäusern“ zu verwahren, ersann der Arzt Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802–1878) ein völlig neues Konzept: eine Musteranstalt in ländlicher Atmosphäre mit einer vorgelebten, idealen Ersatzfamilienstruktur. Auf der grünen Wiese entstand unter seiner Leitung die Großanstalt Illenau bei Achern (Nähe Baden-Baden). Als bahnbrechend erwies sich nicht nur der „Illenauer Geist“ als Behandlungskonzept, sondern auch die Architektur der Klinik im Baustil des Korridorsystems mit unterschiedlichen Gebäudeachsen für Männer und Frauen und für heilbar und unheilbar Kranke. Das Erfolgsmodell setzte sich in den Psychiatrien weit über Europa hinaus durch. Während ihres fast 100-jährigen Bestehens hatte die Illenau einen Sonderstatus zwischen Universitäts- und Landesklinik – einmalig in Deutschland. Die Nationalsozialisten setzten der Heil- und Pflegeanstalt ein Ende. Im Gegensatz zu den Universitätskliniken wurde sie in die Euthanasie mit einbezogen und viele ihrer Patienten starben in den Gaskammern. Im Oktober 1940 wurde die Illenau geschlossen.

Illenauer Stiftungen

Neun verschiedene Stiftungen mit den unterschiedlichsten Stiftungszwecken bestanden auch nach der Schließung der Illenauer Klinik 1940 weiter fort. Doch sollten diese dann den ehemaligen badischen Anstalten Emmendingen, Wiesloch und Reichenau zufließen. Die Stiftungszwecke wurden entsprechend verändert. Auch der Sitz und die Verwaltungen sämtlicher Stiftungen wurden an das ehemalige Psychiatrische Landeskrankenhaus Emmendingen verlegt. 2001 konnten diese schließlich in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium Freiburg als „Illenauer Stiftungen“ zusammengeführt und ihre Zielrichtung neu definiert werden.